Befangenheit
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Version vom 12:10, 7. Jan. 2010
Theoretisch kann ein Richter wegen des Besorgnisses der Befangenheit abgelehnt werden.
Inhaltsverzeichnis |
Rechtsrealität
Deutsche Richter wegen Besorgnis der Befangernheit abzulehnen ist sehr schwierig.
Begriffe
Befangenheit: Fehlen unabhängiger Urteilsfähigkeit wegen spezieller Motiv- oder Sachlage
Besorgnis: Berechtigtes Misstrauen gegenüber Unparteilichkeit des Richters
Grund für Misstrauen: Der Grund für die fehlende Unabhängigkeit des Richter muss nicht objektiv vorliegen. Es braucht nicht bewiesen zu werden, dass der Richter tatsächlich parteilich handelt. BESORGNIS genügt ! (theoretisch)
Paragrafen
- Ausschluss § 41 ZPO - Ausschluss von der Ausübung des Richteramtes
Ist von Amts wegen zu beachten; kraft Gesetzes wegen besonderer Verbindung mit einer Partei oder dem Rechtstreit
- Ablehnung § 42 ZPO - Ablehnung eines Richters
Auf Antrag einer bzw. beider Parteien.
- § 43 ZPO - Verlusst des Ablehnungsrechts
Eine Partei kann einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat.
- Selbstablehnung § 44 ZPO - Ablehnungsgesuch
Die Selbstablehnung eines Richters ist möglich.
- § 48 ZPO - Selbstablehnng; Ablehnung von Amts wegen
Bei Kenntnis muss sofort vorgebracht werden.
Vorgehen im Rechtstreit
Gesuch nach § 44 ZPO
Form: schriftlich oder mündlich
Wer: jede Partei; kein Anwaltszwang; Prozessbevollmächtigter; Streitgenosse; Streithelfer; Drittbetroffener
Wo: vor Gericht des befangenen Richters
Inhalt
- Name des Richters
- Grund der Besorgnis; alle Gründe sofort, wenn bekannt;<brR>
Nachschieben von Gründen ist nicht möglich
- Ausschlussgrund nach § 41 ZPO; einzelne oder alle Gründe, unabhängig davon, ob bekannt ob bekannt; Nachschieben ist bis zur Rechtskraft möglich
- Zeitpunkt
- Tatsacheninstanz
- Wenn Kenntnis vorhanden ist, muss der Anspruch sofort geltend machen; hat man sich gemäß § 43 ZPO auf die Verhandlung weiter eingelassen, dann entfällt das Recht der Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit
Ist die Kenntnis nicht vorhanden, so muss sofort sofort bei Kenntniss der Antrag gestellt werden
Fälle für begründete Befangenheit
- Mittelbare Beteiligung des Richters am Rechtstreit und eigenes Interesse am Prozessausgang
- Richter als Gesellschafter einer am Prozess beteiligten GmbH
- Nahe persönliche oder geschäftliche Beziehung zu einer Partei
- Dienstverhältnis zwischen Ehegatte des Richters und der Partei
- Nahe persönliche Beziehung zum Prozessvertreter einer Partei
Ehe mit Prozessvertretung
- Interessenwahrnehmung für eine Partei
- Erteilung von Rat und Auskunft an eine Partei außerhalb des Verfahrens
- Vorbefassung
- - prozessrechtlich typische Vorbefassung ist zulässig
- Dazu gehören: PKH- und Klageverfahren, Arrest-, Verfügungs-, Erlass-, Widerspruchs und Hauptsacheverfahren, Urkunden- und Nachverfahren, Grund- und Betragsverfahren, Ausgangs- und Abhilfeverfahren, Einstellung der Zwangsvollstreckung und Entscheidung zur Hauptsache
- - prozessrechtlich typische Vorbefassung ist zulässig
- - prozessrechtlich atypische Vorbefassung ist unzulässig
- Dazu gehören: Versetzung des Richtera an Berufungsgericht und dortige erneute Befassung mit der Sache; Frühere Befassung mit gleichem Sachverhalt als Vertreter der Anklage, Strafrichter; Mitwirkung im Vorprozess und Wiederaufnahmeverfahren
- - prozessrechtlich atypische Vorbefassung ist unzulässig
In der ZPO fehlt dazu eine Vorschrift, nach§ 23 Abs. 2 StPO kann das als pflichtwidrigem Verhalten des Richters im Vorprozess gewertet werden und es liegt eine Befangenheit im Wiederaufnahmeverfahren vor
- - Mitwirkung von Ehegatten und nahen Angehörigen des abgelehnten Richters als Richter derselben Sache
- - Mitwirkung in mehreren gleichzeitig anhängigen Verfahren einer Partei - wahrscheinlich zulässig
- - Nur wenn Verfahren in einem übergreifenden Zusammenhang stehen -wahrscheinlich zulässig
- Verstoß gegen die gebotene Objektivität, Neutralität und Distanz, Verstoß gegen prozessualen Gleichbehandlungsgebot
- - Messen mit zweierlei Maß, einseitige Protokollführung, Nichtberücksichtigung von Terminwünschen, Verfahrensweise entbehrt jeglicher gesetzlichen Grundlage bezüglich einer Partei - strittig, ob Befangenheti zugesprochen qwird
- - Unsachliches und unangemessenes Verhalten, Negative Einstellung gegenüber einer Partei, Bevorzugung der anderen Partei
- - kränkendes Verhalten gegenüber einer Partei, Bezeichnung des Sachvortrages als Unsinn, unangemessen Mimik und Gestik während des Parteivortrages, Anbrüllen einer Partei
- - Terminierung einer Familiensache auf den 11.11. um 11:11 Uhr (Faschingsbeginn): „Etwas Humor kann auch von den Parteien einer Familiensache erwartet werden."
- Voreingenommenheit und Verdächtigung
- - Sachfremde Fragestellungen, ungeprüftes Sichzueigenmachen von einseitigem Parteivortrag, Aussetzung gemäß § 149 ZPO ohne hinreichende Prüfung des Tatverdachtes
- - Behinderung in der Ausübung der Parteirechte, willkürliche Benachteiligung durch Verkürzung rechtlichen Gehörs
- - Weigerung Erklärungen ins Protokoll aufzunehmen, Nichtweiterleitung eines Schriftsatzes an die Gegenseite, wiederholte Wortunterbrechungen einer Partei, Ablehnung einer Terminverlegung bei wichtigem Grund (Krankheit Prozessvertretung, bei auswärtiger Partei), Verweigerung der Akteneinsicht (Sachverständigengutachten)
- - Unsachgemäße Verfahrensleitung, grobe Verfahrensverstöße, Untätigkeit
- - Langandauernde Nichtbearbeitung, Ignorieren von Anträgen
- - Beeinträchtigung des richterlichen Vertrauensverhältnisses
- - Ermittlungen auf eigene Faust, Zeugenstellung des Richters ( Abgrenzung zu offenkundigen und gerichtskundigen Tatsachen ), Bruch der Amtsverschwiegenheit gegenüber Drittem
- Gesellschaftlicher Standort und Person des Richters
- - Zugehörigkeit zur Kirche, Gewerkschaft, wissenschaftliche Betätigung in der Regel nicht, außer es liegt Nähe zum Prozessgegenstand vor oder die Stellung des Richters wird gezielt zur Durchsetzung gesellschaftlicher Interessen missbraucht.
- Richterliche Aufklärung und materielle Prozessleitung
- - gemäß §§ 139, 273, 278 Abs. 2 S. 2 ZPO gebotenes Verhalten immer zulässig, daher vorläufige Meinungsäußerungen zur Sach- und Rechtslage zulässig, ebenso Anregungen, Hinweise, Ratschläge, Empfehlungen (etwa Formulierung von Anträgen, zur Schlüssigkeit des Vorbringens)
- - Sehr streitig: Hinweis auf bestehende Einreden und Gegenrechte (Verjährung, Aufrechnung, Zurückbehaltungsrecht)
- Fehlende Dienstfähigkeit
- - Schlafen des Richters während der Verhandlung, Unaufmerksamkeit, Ablenkung durch Aktenstudium während der Verhandlung,
- - Fehlerhafte Besetzung aufgrund Geschäftsverteilungsplan: nur Besetzungsrüge möglich
Urteile für fehlende Befangenheit=
- Beschluss BGH 1 StR 27/0 9 vom 04.03.2009 (LG Landshut)
- Unterhält sich der Vorsitzende Richter einer Strafkammer mit dem Verteidiger eines Mitangeklagten außerhalb der Hauptverhandlung ohne Beteiligung der anderen Verfahrensbeteiligtenn, so begründet das nicht unbedingt die Befangenheit des Richters im Sinne des § 24 Abs. 2 StPO.
Urteile
- KG Berlin Urteil 15 W 2/07 vom 07.02.2007.
- Leitsatz
- Die Besorgnis der Befangenheit kann begründet sein, wenn ein Richter in seiner früheren Tätigkeit als Beamter der Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen eine Partei eines ihm später als Richter zur Verhandlung und Entscheidung übertragenen Zivilprozesses geführt hat und zwischen dem Ermittlungsverfahren und dem späteren Zivilprozess ein Zusammenhang besteht. Die frühere Tätigkeit des Richters in dem die Partei betreffenden Ermittlungsverfahren ist einer Gesamtbetrachtung zu unterziehen.
- Tenor
- Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 8. Dezember 2006 wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 15. November 2006 – 29 O 330/05 – aufgehoben und die Besorgnis der Befangenheit gegen die Richterin Dr. J. für begründet erklärt.
- KG Berlin Urteil 15 W 31/06 vom 08.06.2006
- Leitsatz
- 1. Die Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 42 Abs. 2 ZPO ist begründet, wenn richterliche Entscheidungen sich so weit von den anerkannten rechtlichen - insbesondere verfassungsrechtlichen - Grundsätzen entfernen, dass sie aus Sicht der Parteien nicht mehr verständlich sind und dadurch den Eindruck einer willkürlichen Einstellung des Richters erwecken
- 2. Die unter Verstoß gegen §§ 318, 572 Abs. 1 S. 2 ZPO erfolgte nachträgliche Abänderung der Kostenentscheidung eines Urteils durch den erkennenden Richter ist objektiv willkürlich und begründet die Besorgnis der Befangenheit.
Kosten
Ablehnungsgesuch: keine
Beschwerde: nur wenn erfolglos ( § 97 Abs. 1 ZPO )
Links
- Befangenheitsablehnung - Hinweise von Winter & Partner GbR