VI ZR 19/08 - 22.09.209 - BGH hebt Enscheidungen von Hamburg auf

Aus Buskeismus

Wechseln zu: Navigation, Suche

Inhaltsverzeichnis

spassmacher.jpg

[bearbeiten] Daimler AG und Jürgen Schrempp vs. Jürgen Grässlin

22.09.09 VI ZR 19/08 Daimler AG und Schrempp vs. Jürgen Grässlin

[bearbeiten] Vorgeschichte

Berichterstatterin Frau Edith Schultheiß:

Als politisch interessierte Freiburger Bürgerin und Nicht-Juristin wollte ich schon lange einmal das Innenleben des Respekt einflößenden Bundesgerichtshofes (schon der Begriff “Hof” erinnert an Fürstenhöfe, Hofstaat usw. und weist auf den herrschaftlichen Charakter dieser Behörde hin) in Karlsruhe in Augenschein nehmen. Nun war am 22.09.09 eine Verhandlung vor diesem hohen Hause angesagt, von deren Besuch ich mir eine Erweiterung meines Bildungshorizontes versprach. Als Parteien standen sich zwei bekannte Freiburger gleichen Vornamens gegenüber: Der in Freiburg geborene ehemalige DAIMLER-Vorstandsvorsitzende und lange Zeit als bestbezahlter deutscher Manager gehandelte Jürgen SCHREMPP nebst der DAIMLER AG auf der Klägerseite, als deren Kontrahent dann auf der Beklagtenbank der Freiburger Friedensaktivist, Sprecher einer Daimler-Kleinaktionärsvereinigung und -auf das Thema “Daimler” respektive “Schrempp” spezialisierter - Buchautor Jürgen GRÄSSLIN - somit ein Paar wie David versus Goliath.

[bearbeiten] Korpus Delicti

Streitgegenstand war eine Bemerkung von Herrn Grässlin, die dieser anlässlich des für die Öffentlichkeit überraschenden Schrempp-Rücktritts vom DAIMLER-Vorstandsposten und dessen kompletten Ausscheidens aus dem Unternehmen anno 2005 in der Fernsehsendung “SWR-Landesschau” hatte verlauten lassen. Hier äußerte Herr Grässlin u.a. die Überzeugung, dass der Rücktritt “nicht freiwillig” erfolgt sei, und analysierte: “Das muss damit zusammenhängen, dass die Geschäfte nicht immer so sauber waren, die Herr Schrempp geregelt hat”. : . Daimler & Schrempp wollten das nicht auf sich sitzen lassen und klagten beim Landgericht Hamburg auf Unterlassung. Dabei beriefen sie sich auf ihr Persönlichkeits(!!)recht. Dass ein solches auch “juristische Personen” wie Aktiengesellschaften allen Ernstes für sich in Anspruch nehmen können, ist inzwischen herrschende Richter(!)meinung und Richterrecht. Dank eines weiteren Kuriosums, nämlich des sog. “fliegenden Rechtsstandes” im Presserecht, können sich Kläger obendrein die vielversprechendsten Gerichte aussuchen; deshalb landen die Unterlassungsklagen der Prominenz (wie die Auseinandersetzungen von Hochadelsangehörigen Prinzessin Caroline und Gatte Ernst August mit der Boulevardpresse) regelmäßig vor der mittlerweile berühmt-berüchtigten Pressekammer in Hamburg. Dort gab man in der 1. und 2. Instanz der Daimler AG und ihrem ehemaligen Repräsentanten Schrempp Recht. Die - eine Unfreiwilligkeit des Rücktritts andeutende - Äußerung wurde vom OLG als Tatsachenbehauptung gewertet, für welche Herrn Grässlin den notwendigen Beweis nicht antreten könne. Die 2. beanstandete Äußerung (“Das muss damit zusammenhängen....”) wurde sogar als unsachliche, nur der Demütigung der “Personen” DAIMLER und Schrempp dienende Schmähkritik apostrophiert, deren weitere Verbreitung zu untersagen sei. Auch eine Revision beim BGH wollte das OLG Hamburg nicht zulassen.

Herr Grässlin bzw. seine Anwälte erhoben Nicht-Zulassungs-Beschwerde beim BGH; dieser wurde stattgegeben, was bereits hoffen ließ. Denn lt. Statistik werden von BGH nur 5-8-% der eingereichten Klagen angenommen. Also wurde das Verfahren fortgesetzt.

[bearbeiten] Vorinstanzen

LG Hamburg – 324 O 283/06 – Urteil vom 19. Januar 2007 Wir berichteten.

OLG Hamburg – 7 U 18/07 - Entscheidung vom 18. Dezember 2007 Wir berichteten.

Die Käger wurden in den Vorinstanzen vertreten von der Kanzlei Schertz Bergmann. Herr Grässlin wurde vertreten vom Rechtsanwalt Holger Rothbauer.

[bearbeiten] BGH Richter

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof: Gregor Galke
Richter am Bundesgerichtshof: Wolfgang Wellner
Richter am Bundesgerichtshof: Burkhard Pauge
Richter am Bundesgerichtshof: Karlheinz Stör
Richterin am Bundesgerichtshof: Vera von Pentz

[bearbeiten] Die Parteien

Antragsteller- / Klägerseite: Cornelie von Gierke
Antragsgegner- / Beklagtenseite: Dr. Wendt Nassall

[bearbeiten] Bericht der Pseudoöffentlichkeit

Berichterstatterin von der Pseudoöffentlichkeit: Edith Schultheiß

22.09.09: Als ich vor dem mir von zahlreichen Abbildungen bekannten BGH-Gebäudekomplex stand, mußte ich zuerst eine Schleuse überwinden, den Ausweis an der Pforte abgeben und dafür einen Anstecker entgegennehmen, der mich als für das Betreten der herrschaftlichen Behörde legitimiert auswies. Im Verhandlungssaal schien das nach und nach eintreffende Publikum mir aus 3 Gruppen zu bestehen: Einmal natürlich die Familie und Freunde des beklagten Buchautors, dann eine erkennbar in Maßanzügen gewandete Gruppe von Personen, die sich um die Anwältin von Schrempp/Daimler scharrten sowie eine größere Gruppe sich untereinander wohl kennenden und sich begrüßenden Journalisten. Interessierte einzelgängerische Bürger wie ich waren wenig vertreten. Pünktlich zum angesetztem Verhandlungstermin erschienen die Richter des VI. Zivilsenates.

Der Vorsitzende Richter Herrn Galke umriss den Streitgegenstand (die anfangs zitierte Äußerung) und die Entscheidungen der vorgeordneten Instanzen. Die jetzt anstehende Problematik verdichtete Herr Galke in den Fragen:

  • Liegt eine Meinungsäußerung oder eine Tatsachenbehauptung vor?
  • Falls von einer Tatsachenbehauptung auszugehen ist, wurde diese bewiesen bzw. zumindest die notwendigen Recherchen vom Beklagten zuvor vorgenommen?
  • Falls eine Meinungsäußerung vorliegt, ist diese dann zulässig bzw. wurde die Grenze zur Schmähkritik eingehalten?

Sodann ergriff der Anwalt von Herrn Grässlin, Herr Dr. Nassall, das Wort. Er hob auf die Bedeutung des Kontextes bei der medienrechtlichen Einordnung einer Aussage ab.

Die inkriminierte Äußerung sei wenige Stunden nach der öffentlichen Bekanntgabe des Rücktritts erfolgt. Zu diesem Zeitpunkt habe man noch keine Recherchen anstellen können, für jeden Zuhörer sei erkennbar gewesen, dass Herr Grässlin nur “spekulierte”. Das Verbot solcher “Spekulationen” würde die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit zu sehr einengen. Außerdem verwies der Anwalt auf einleitende Vorsätze der Äußerung wie “Ich glaube...” und “Ich glaube nicht...”. Durch diese seien die Äußerungen relativiert worden.

Sodann trat er der Wertung der streitbefangenen Äußerung als Schmähkritik entgegen. Von letzterer könne nur die Rede sein, wenn eine Diffamierung der Person erkennbar würde; sein Mandant habe aber eine ausschließlich sachbezogene Stellungnahme abgegeben. Schließlich erinnerte der Anwalt an die Größe/Bedeutung des Unternehmens Daimler - ein solcher Konzern müsse sich harte Worte gefallen lassen. Kritik läge im öffentlichen Interesse.

Die Anwältin der Gegenseite Frau von Gierke konterte wie folgt:

Tatsachenbehauptung im Sinne des Presserechtes beträfen Sachverhalte, die mit den Mitteln des Beweises angegangen werden könnten. Das unterstellte Gedrängtwerden zum Rücktritt bzw. die Verwicklung in unsaubere Geschäfte ließen sich aber durchaus beweistechnisch untersuchen, bei der beanstandeten Äußerung überwiege der Tatsachenbehauptungscharakter den Meinungscharakter.

Relativierende Zusätze- so die Anwältin - wie “meiner Meinung nach..” transformierten eine Tatsachenbehauptung nicht in eine Meinungsäußerung.

Darin, dass dem Kontext große Bedeutung zukommt, war sie sich mit dem gegnerischen Anwalt einig. Allerdings hob sie auf andere Details des Sinnzusammenhangs ab: Herr Grässlin sei und gelte als Daimler-Schrempp-Experte, der sich intensiv mit dem Konzern beschäftigt habe, gerade deshalb würde er ja interviewt und eben deshalb erwartet man von ihm auf Fakten basierende Kommentare, nicht aber Spekulationen.

Sodann unterstrich die Anwältin, dass der Zeitaspekt nicht zur generellen Exkulpierung führen dürfe. Auch rasch nach einem Ereignis erfolgte Kommentierungen dürften nicht von der Pflicht zu sorgfältiger Recherche entbunden werden. Und wenn - wie vorliegend - eine “Verdachtsberichterstattung” - erfolge, dann sei die Sorgfaltspflicht sogar erhöht. Es sei auch nicht ansatzweise eine Substantiierung des geäußerten Verdachtes erfolgt.

Es entspann sich ein Geplänkel zwischen den beiden Anwälten über die Abgrenzung von Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen bzw. über die Bedeutung von relativierenden Einschränkungen.

Frau von Gierke erinnerte an das sog. FOCUS- Urteil, in dem der BGH dem Unterlassungs- bzw. Richtungsstellungsbegehren des Klägers stattgegeben hatte. Die Beklagte hatte vergeblich auf die Verwendung von Wörtern wie “offenbar” u.ä. hingewiesen.

Herr Dr, Nassall hielt entgegen, dass solche relativierenden Einschübe lt. BGH nur “nicht grundsätzlich” eine Behauptung zu einer Meinungsäußerung mutieren ließen. Es käme auch hier auf den Sinnzusammenhang an. Vorliegend lägen zahlreiche solche Einschränkungen vor: Herr Grässlin sei als “Mann von der Straße” vom Interviewer ausdrücklich zu seiner Meinung befragt worden, er habe eine Fülle von abschwächenden Bemerkungen in den Text eingestreut (wie “Wer Herrn Schrempp kennt....”) und damit dem Zuhörer den Eindruck von subjektiven Einschätzungen, nicht aber den eines Tatsachenberichtes vermittelt.

Das Gericht kündigte sodann an, dass es wenige Stunden später um 14 Uhr im selben Saal das Urteil verkünden würde. Nach einer Mittagspause in der Karlsruher Innenstadt kehrte ich zum Saal zurück. Die Zuschauerränge waren spärlicher als am Vormittag besetzt.

Verkündung: Die Ausführungen des Gerichts waren lapidar. Die Klage wurde abgewiesen bzw. die vorinstanzlichen Urteile aufgehoben.

  • Der 1.Teil der inkriminierten Äußerungen (Unterstellung des unfreiwilligen Rücktritts) wurde entgegen der Beurteilung durch die Vorinstanz als zulässige, in den Schutzbereich von GG Artikel 5 Abs.1 fallende Meinungsäußerung eingeordnet.
  • Auch der 2. Teil (“unsaubere Geschäft”) wurde ebenfalls als zulässige Meinungsäußerung kategorisiert. Die Einstufung der Vorinstanz als Schmähkritik wurde zurückgewiesen. Nachdrücklich wurde auf den Gesamtzusammenhang, in dem diese Äußerungen gefallen waren, abgehoben. Diesem sei in den vorangegangenen Instanzen nicht die erforderliche Aufmerksamkeit zuteil geworden.
  • Das Gericht verwies noch auf eine in Form eines Flyers vorbereitete (anschließend verteilte) Presseerklärung (Überschrift: “Meinungsfreiheit bei kritischen Äußerungen über ein Unternehmen und dessen Vorstandsvorsitzenden”).

Herr Grässlin nahm die Glückwünsche zahlreicher anwesender Personen entgegen, denen die Freude anzusehen und anzumerken war. Journalisten baten um eine kurze Stellungnahme, Herr Grässlin kommentierte das Urteil als “Sieg für die Meinungsfreiheit”.

[bearbeiten] Urteil

Urteil VI ZR 19/08 v. 22.09.2009

[bearbeiten] Presseerklärung des BGH

Meinungsfreiheit bei kritischen Äußerungen über ein Unternehmen und dessen Vorstandsvorsitzenden

Die Klägerin zu 1 ist ein Großunternehmen. Der Kläger zu 2 war bis Ende 2005 Vorsitzender ihres Vorstands. Der Beklagte ist Aktionär der Klägerin zu 1 und Sprecher eines Aktionärverbandes.

Am 28. Juli 2005 meldete die Klägerin zu 1, ihr Aufsichtsrat habe beschlossen, dass der Kläger zu 2 zum 31. Dezember 2005 aus dem Unternehmen ausscheide. Am selben Tag wurde in der Fernsehsendung "SWR-Landesschau" ein mit dem Beklagten geführtes Interview ausgestrahlt, in dem dieser unter anderem Folgendes äußerte:

"Ich glaube nicht, dass der Rücktritt (des Klägers zu 2 als Vorsitzender des Vorstands der Klägerin zu 1) freiwillig war. Ich glaube, dass er dazu gedrängt und genötigt wurde. … und das muss damit zusammenhängen, dass die Geschäfte nicht immer so sauber waren, die Herr S. geregelt hat."

Das Landgericht hat dem auf Untersagung dieser Äußerungen gerichteten Unterlassungsantrag der Kläger stattgegeben. Die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen.

Die vom Bundesgerichtshof zugelassene Revision des Beklagten führte zur Klageabweisung. Die Äußerungen des Beklagten dürfen nicht isoliert gesehen, sondern müssen im Gesamtzusammenhang des Interviews bewertet werden. Sie unterliegen als wertende Äußerungen dem Schutzbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes. Der erste Teil der Äußerung war entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht als Tatsachenbehauptung, sondern als Werturteil einzustufen. Beim zweiten Teil handelt es sich auch nicht um unzulässige Schmähkritik, weil sich der Beklagte zu einem Sachthema von erheblichem öffentlichen Interesse äußerte und nicht die Herabsetzung der Person des Klägers zu 2 im Vordergrund stand. Bei der danach gebotenen Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsschutz der Kläger und dem Grundrecht des Beklagten auf freie Meinungsäußerung musste der Persönlichkeitsschutz der Kläger im vorliegenden Fall zurücktreten. An der Bewertung der Geschäftstätigkeit des Vorstandsvorsitzenden eines Großunternehmens und dessen vorzeitigem Rücktritt besteht ein großes öffentliches Interesse. Demgemäß müssen die Grenzen zulässiger Kritik gegenüber einem solchen Unternehmen und seinen Führungskräften weiter sein. Würde man solche Äußerungen am Tag des Ereignisses unterbinden, wäre eine öffentliche Diskussion aktueller Ereignisse von besonderem Öffentlichkeitswert in einer mit Art. 5 Abs. 1 GG nicht zu vereinbarenden Weise erschwert.

Urteil vom 22. September 2009 – VI ZR 19/08

LG Hamburg – 324 O 283/06 Urteil vom 19. Januar 2007

OLG Hamburg – 7 U 18/07 – Urteil vom 18. Dezember 2007

Karlsruhe, den 22. September 2009

Pressestelle des Bundesgerichtshof 76125 Karlsruhe Telefon (0721) 159-5013 Telefax (0721) 159-5501

Pressestelle des Bundesgerichtshofs 76125 Karlsruhe

Telefon (0721) 159-5013

Telefax (0721) 159-5501

[bearbeiten] Kommentar

[bearbeiten] Subjektiver Eindruck der Berichterstatterin Frau Edith Schultheiß

So sehr ich die Begeisterung über das Ergebnis mit dem couragierten Aktivisten und seinen “Sympathisanten” teilte - meine Bewusstseins- und Gemütslage ließ sich frei nach B. Brecht beschreiben: Ich stand betroffen, denn der Vorhang war zu und alle Fragen offen.

Offenkundig hatten zwei hohe Gerichte (OLG Hamburg und BGH) aus demselben Sachverhalt gänzlich konträre Schlussfolgerungen abgeleitet. Hatte das vorinstanzliche Gericht etwas am Sachverhalt oder den rechtlichen Grundlagen übersehen? Ich wollte dem Grund der diskrepanten Urteile auf die Spur kommen. Allerdings reichten meine eher dürftigen Vorkenntnisse im Medienrecht kaum zur Interpretation des Vernommenen aus. Nur so viel wusste ich: Die Meinungsfreiheit - ein essentieller Bestandteil jeder demokratischen Verfassung - wurde/wird in der bundesrepublikanischen Rechtsordnung durch ein mehr und mehr wucherndes - allein von den Halbgöttern in Schwarz, nicht vom Gesetzgeber - entwickelte Persönlichkeitsrecht ausgehöhlt. Zwischen den Polen “Meinungsfreiheit versus Persönlichkeitsrecht” bewegt sich die richterliche Beurteilung zur Frage, was veröffentlicht werden darf. Mit den Fakten hat das manchmal wenig mehr tun. Das wurde dem erstaunten Laien spätestens bewusst, als unser damaliger Kanzler die Behauptung eines Presseorgans untersagen ließ, seine Haare seien gefärbt. Es wurde nicht etwa eine Haarprobe im Labor untersucht, vielmehr reichte die Einschätzung des Gerichtes, die Haarfarbe eines Regierungschefs sei nicht “von öffentlichem Interesse”, um der Klage stattzugeben. Mir hingegen schien die abnorme Eitelkeit eines in die Jahre gekommenen “Medienkanzlers” durchaus publizierungsbedürftig. Nun, die Richterkaste hat allein die Deutungshohheit, was im “öffentlichen Interesse” zu orten ist, da sind resultierende unterschiedliche medienrechtliche Urteile kaum überraschend.

Allerdings springt im vorliegenden Fall - ein engagierter und couragierter Buchautor nimmt das Geschäftsgebaren eines Groß- und Rüstungskonzern unter die Lupe - das “öffentliche Interesse” geradezu ins Auge - dem können/konnten sich a l l e in den Fall involvierten Richter nicht verschließen. Es muss also noch eine andere Ursache für die diskrepanten richterlichen Entscheidungen geben. Ein Studium des schriftlichen GRÄSSLIN-Urteils sowie weiterer - ähnliche Fragestellungen betreffender, höchstrichterlicher Urteile war unumgänglich. Inzwischen wurde das schriftliche Urteil veröffentlicht. Mit - juristischer Schulung entbehrenden - Augen habe ich dieses (sowie ältere BGH-Referenzurteile) gelesen und interpretiert:

Wie schon in der Verhandlung erkennbar wurde, ist für die Beurteilung einer streitbefangenen Äußerung die Dichotomisierung nach den beiden Alternativen “Tatsachenbehauptungen versus Meinungsäußerungen” grundlegend.

Unstreitig ist unter Juristen: Wer etwas äußert, was dem Beweis (z.B. Dokumente etc.) zugänglich ist, tätigt eine Tatsachenbehauptung. Die sollte man- wenn man sie der Öffentlichkeit übermitteln will - möglichst beweisen können. Subjektive Werturteile und Einschätzungen sind hingegen Meinungsäußerungen, die man lt. GG Art.5 in der Regel artikulieren darf.

Doch die Sache ist vertrackter. In der Regel bildet man sich eine Meinung über Sachverhalte und in der geäußerten Meinung stecken meist auch Aussagen über unterstellte Tatsachen. Das ist besonders dann der Fall, wenn aus Fakten subjektive Schlüsse abgeleitet werden. Wer wie Herr Grässlin schlicht und ergreifend nur seine Meinung kundtun will, wie kann dieser sich dagegen schützen, dass seine Aussagen nicht in eine Tatsachenbehauptung konvertiert werden? Nun, wie vermutlich jeder Laie fügt er relativierende Satzteile (wie “so scheint es..”, “wahrscheinlich..”, “wie ich glaube...") ein. Doch hatte die Diskussion zwischen den Anwälten bereits ergeben: Auch diese Vorsichtsmaßnahme schützt nach Meinung hochkarätiger Juristen nicht vor einer rechtlichen Klassifizierung als Tatsachenbehauptung.

Zum Glück haben - das entnahm ich den überflogenen BGH-Urteilen - die Karlsruher Richter eine gewisse Systematik zur rechtlichen Einordnung von veröffentlichten Äußerungen in die beiden Kategorien “Meinungsäußerung” versus “ Tatsachenbehauptung” erarbeitet. Dieses Orientierungsschema wird von Karlsruhe seit Jahren konsistent den Urteilen zugrundegelegt und ebenso regelmäßig wird es von der Hamburger Justiz ignoriert bzw. mit Füßen getreten.

So sind nach ständiger Rechtsprechung des BGH die beurteilenden Äußerungen stets auf dem Kontexthintergrund - das ist der faktische Zusammenhang, in dem sie gefallen sind, sowie der gesamte Text - zu bewerten, insbesondere dürfen nicht Sätze oder Satzteile aus einer komplexen Äußerung herausgenommen und isoliert überprüft werden.

Sodann erstreckt sich nach ständiger BGH.-Rechtsprechung der Schutzbereich des Art.5 GG auch auf Tatsachenbehauptungen,

  • wenn sich im gesamten Text “Tatsachen und Meinungen vermengen” und dieser “insgesamt durch die Elemente der Stellungnahme” oder “Meinens geprägt” ist (Kriterium i)
  • sofern diese Tatsachen Dritten zur Meinungsbildung diesen können” , wenn also etwa dem Leser ein eigenes Urteil über geschilderte Vorgänge bzw. geschildertes Verhalten ermöglicht werden soll ( hier als (ii) bezeichnet).

Ebenfalls als geschützte Meinungsäußerung kategorisierte der BGH i.d.R. Beurteilungen von Sachverhalten anhand rechtlicher oder ethischer Maßstäbe und damit auch jegliche Verbalisierung von Rechtsauffassungen (Kriterium iii).

Der BGH bedient sich dann im vorliegenden Urteil der Kriterien (i) und (iii).Der Text wurde vervollständigt um die Frage des Interviewers und die ganze Antwort von Herrn Grässlin. Dieser war explizit nach seiner Meinung unmittelbar nach Bekanntwerden des Schrempp-Rücktritts befragt worden. Er ließ in seiner Antwort die Einschränkung vorangehen: “Da muss man mutmaßen”. Es folgt ein Text, der durchsetzt ist mit einschränkenden Formulierungen: “.... ...meines Erachtens... Dinge, die geklärt werden müssen in den nächsten Monaten... ich glaube nicht..ich glaube ... . Die von den Anwälten diskutierten Relativierungen durchziehen also den g a n z e n Text, der deshalb von Elemente des Meinens und Dafürhaltens geprägt ist, weshalb auch Kriterium (i) zum Tragen kommt.

Die 2. Äußerung (Unterstellung “unsauberer Geschäfte”) fällt nach BGH-Meinung noch zusätzlich nach Kriterium (iii) in die Kategorie “Meinungsäußerung”.

Der Meinungscharakter von beiden inkriminierten Äußerungen steht also nach schon früher entwickelten Kriterien außer Zweifel und wurde jetzt erneut bestätigt. Bleibt nur die Zulässigkeit der geäußerten Meinungen zu klären bzw. der Ausschluss von sog. Schmähkritik vorzunehmen. Hier ist der Subjektivität der entscheidenden Gerichte Tür und Tor geöffnet.

Der BGH sieht in dem Umstand, dass die streitbefangenen Äußerungen in dem SWR-Interview gefallen sind und Sachthemen besprochen worden seien, ein Indiz für deren Sachbezogenheit. Eine “Herabsetzung der Person des Klägers” bzw. ein “an-den-Pranger-Stellen” sei nicht beabsichtigt gewesen. Die angedeutete “Unsauberkeit ” der Geschäfte sei nicht gleichzusetzen mit unterstellter Illegalität, der Begriff “unsauber” sei “substanzarm”, gemeint sei mit dieser Redewendung wohl ein “weitgefasster Vorwurf von missbilligenswerten Geschäftspraktiken”. Und diese Kritik mache der Beklagte an empirischen Gegebenheiten fest - an der ihm bekannten Charakterstruktur von Schrempp sowie an dem mit jenem Charakter kaum vereinbaren Verzicht auf eine millionenschwere Abfindung beim Rücktritt. Wegen dieses Sachbezuges verneint der BGH das Vorliegen von Schmähkritik. An die Einordnung einer Äussage als “Schmähkritik” seien - so der BGH- “strenge Maßstäbe” zu legen.

Nun, richtig überzeugend scheint mir diese Argumentation allerdings nicht. Wenn Person A die Person B diffamieren will, findet sie immer “Sachverhalte”, die sie zusammen mit einer hypostasierten Charakterstruktur zum Anlass für “sachbezogene Kritik” umdeuten kann. In einem anderen Urteil vom 3.2.2009 hatte der BGH sogar die Unterstellung eines “Sumpfes an Lügen, Täuschung, Vertuschung, Vetternwirtschaft, Politkumpanei und Korruption” als zulässige - somit die Grenze zur Schmähkritik nicht verletzende - Meinungsäußerung klassifiziert. Darf man daraus ableiten, dass das hohe Gericht nicht sonderlich sich dem Schutz der Ehre verpflichtet fühlt und ein seinen Gefühlen freien Lauf lassender Durchschnittsblogger sich auf die Herrschaften in Karlsruhe berufen kann?

Mitnichten!

Im letztgenannten wie im Daimler-Grässlin-Urteil hat der BGH nämlich im letzten Abschnitt seiner Begründung das Vorliegen eines h o h e n öffentlichen Interesses bejaht und gleichzeitig einen monotonen Zusammenhang zwischen dessen Ausprägung und der Grenze dessen, was noch nicht als Schmähkritik zu gelten habe, hergestellt. Originalton im Grässlin-Urteil:

“... ist ...zu beachten, dass an der Bewertung der Geschäftstätigkeit des Vorstandsvorsitzenden eines deutschen Grußunternehmen ...großes Interesse besteht....Deshalb sind die Grenzen zulässiger Kritik ihm gegenüber ebenso wie gegenüber ihren Führungskräften w e i t e r gezogen” (Sperrschrift vom Verf.).

Selbst in der kurzgefassten Pressemitteilung findet sich diese Passage. Und analog im anderen Urteil vom 3.2.2009:

“...Im Hinblick darauf muss das Unternehmen w e g e n des b e s o n d e r e n Interesse der Öffentlichkeit...auch eine möglicherweise polemische und überspitzte Kritik hinnehmen” (Sperrschrift vom Verf.).

[bearbeiten] Fazit

Deshalb drängt sich mir folgendes Fazit des GRÄSSLIN-SCHREMPP-Urteils auf:

Gewisse - schon früher herausgearbeitete - Kriterien zur Abgrenzung von Tatsachenbehauptungen und Meinungen hat der BGH erneut bestätigt. Bleibt zu hoffen, dass die Kollegen in Hamburg wenigstens diese Maßstäbe in Zukunft bei ihren Urteilssprüchen beherzigen.

Die Grenze zwischen zulässiger Meinung und Schmähkritik wird nicht annäherungsweise festgesteckt. Es werden nur einige sachbezogene Motive der äußernden Person zur Begründung bemüht, die sich indes wohl in jedem Fall von möglicher Schmähkritik finden lassen.

Anhaltspunkte dafür, wann ein öffentliches Interesse anzunehmen ist, werden nicht geliefert. Vermutlich gelangen ohnehin nur solche Fälle bis zum BGH, wo das öffentliche Interesse ins Auge springt (und sich die hohen Damen und Herren entsprechend profilieren können).

Interessant und gleichzeitig äußerst fragwürdig ist der hergestellte Zusammenhang zwischen dem Grad an öffentlichem Interesse und dem der zulässigen Kritik. Wer sich mit den ganz Großen unserer Gesellschaft anlegt, hat also vielleicht die Chance, beim BGH vorzudringen und von ihm bestätigt zu erhalten, dass er bei seiner Wortwohl nicht zimperlich sein muss. Otto Normalverbraucher, der sich von seiner Sparkasse über den Tisch gezogen fühlt, bekommt indes keinerlei Informationen, was er auf seinen Webseiten sagen darf, und was nicht. Rechtssicherheit?!? Ein im Medienrecht bisher noch in weiter Ferne liegendes Ziel!

[bearbeiten] Geht es weiter?

Rolf Schälike:

Wir würden nicht staunen, wenn die Kanzlei Schertz Bergmann den Klägern rät, das Bundesverfassungsgericht anzusprechen.

[bearbeiten] Ist das BGH-Urteil ein Sieg für die Meinungsfreiheit?

Rolf Schälike

Wir meinen, es ist kein Sieg für die Meinungsfreiheit. Es ist wie immer, NUR ein Einzelfall.

Wir würden uns nicht wundern, wenn die Kanzlei Schertz Bergmann ihren Mandanten rät, gegen diesen Bericht zu klagen, oder sogar im eigenen Namen gegen diesen Bericht klagt. Berichten werden wir darüber erfahrungsgemäß nicht dürfen. Der Berliner Zensurrichter Mauck verbietet über von uns gewonnene oder verlorene Verfahren zu berichten. Der Bericht wird dann einfach verschwinden.

In England ergehen Verbote mit dem gleichzeitigern Verbot, über das Verbot zu berichten. In Deutschland erfolgt das stufenweise und versteckt. Dazu eine schönste Geschichte darüber, wie es die englischen Blogger schafften, den Zensioren in Richterrobe Paroli zu bieten,

Die taz berichtet über einen solchen Fall:

In Großbritannien versuchte die Ölfirma Trafigura einen Skandal per Presserecht zu vertuschen. Jetzt greift das Parlament ein; auch der Guardian mobilisiert. VON MICHAEL HÖRZ
Der "Guardian" mobilisiert seine Leser gegen Trafigura.
Pressefreiheit gilt manchmal selektiv, wie die Landesbank Baden-Württemberg kürzlich bei einer Pressekonferenz bewies: Nur bestimmte Nachrichtenagenturen wurden zugelassen, Fernsehteams mussten komplett draußen bleiben (taz vom 7. u. 8. 10.). Doch in Großbritannien kann es Zeitungen durchaus passieren, dass man sie komplett zum Schweigen bringen will.
....
Doch juristisches Gängeln der Presse hat in England System, ein gutes Dutzend Maulkörbe bekam der Guardian 2009 verpasst, mehr als doppelt so viel wie in den Vorjahren. Andere Zeitungen knebelte Trafigura genauso. Was den Medien sonst noch untersagt wurde, weiß keiner - wegen der komplett verordneten Heimlichkeit.
Doch nun hatte die Sache auch ihr parlamentarisches Nachspiel: Am Mittwoch debattierte das Unterhaus die Maulkorb-Verfügungen. Carter-Ruck hatte zuvor allen Abgeordneten per Brief empfohlen, den Fall Trafigura lieber nicht zu diskutieren, weil noch ein Gerichtsverfahren laufe. Doch die Abgeordneten waren alles andere als amused, sondern sich einig darüber, dass dieses juristische Instrument "zu ausführlich" eingesetzt würde. Und versicherten sich gegenseitig, dass sie schon seit 1689 das Recht auf freie Rede hätten und es sich so schnell nicht nehmen lassen würden. Jetzt sollen Taten folgen: Premierminister Gordon Brown nannte solche Verfügungen "einen unglücklichen Rechtsbereich", der neu geregelt werden müsse.

Jetz sind wir gespannt, ob taz-Rechtsanwalt Johannes Eisenberg uns wegen Verletzung des Urheberrechts abmahnt, wie er das mit Kai Diekmann wegen der Veröffentlichung des taz-Penis-Satire-Artikels vor einigen Tagen tat.

Es ist alles lustig im absurden Theater der Zensurkammern und Zensursenate und ... . Verstehen Sie Spaß?

[bearbeiten] Interessante Links

  • Daimler-Prozesse - Site zur Unterstützugn aller, welche sich zahlreichen juristischen Auseinandersetzungen des Konzerns gegenüber sehen.
  • Markus Kompa - “Sauber” - Analyse zu BGH VI ZR 19/08 (Daimler, Schrempp ./. Grässlin)

[bearbeiten] Wichtiger Hinweis

Für diesen Bericht gilt, was für alle Berichte gilt: Alles, was in den Berichten steht, entspricht nicht unbedingt der Wahrheit. Beweisen können die Berichterstatter nichts; geurteilt nach den strengen Regeln der Zensurkammern, sind die Recherchen der Berichterstatter erbärmlich. Was in den Berichten in Anführungszeichen steht, ist nicht unbedingt ein Zitat. Oft wird eine falsche Zeichensetzung verwendet. Dafür haben schon mehrere Berichterstatter in Deutschland Heute gesessen. Die Berichterstatter möchten für ihre mangelnde Kenntnis der Grammatik und Syntax bzw. deren nicht exakte Anwendung nicht noch ein weiteres Mal ins Gefängnis. Was als Zitat erscheinen kann, beruht lediglich auf den während der Verhandlung geführten handschriftlichen Notizen. Auch wenn andere Texte, welche nicht in Anführungszeichen stehen, als Zitate erscheinen, sind es keine, denn beweisen können die Berichterstatter als Pseudoöffentlichkeit nichts. Auch Zeugen gibt es keine. Sowohl Anwälte als auch Richter werden sich an nichts erinnern - sie haben Besseres zu tun. Was merkwürdig erscheint, muss von Ihnen nicht unbedingt geglaubt werden. Eine Meinung besitzen die Berichterstatter von der Pseudoöffentlichkeit nicht. Es handelt sich lediglich um Verschwörungstheorien.


Persönliche Werkzeuge