Rechtsbrecher - erlaubt
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Version vom 08:13, 14. Jun. 2012
Ein Obestaatsanwalt darf als Rechtsbrecher bezeichnet werden, wenn ... .
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[bearbeiten] Rechtsbrecher - erlaubt
- OLG Naumburg 2 Ss 156/11. vom 10.11.2011
3. Im Übrigen ist der Angeklagte freizusprechen. Sein Verhalten vom 5. September 2008 gegenüber dem Polizeibeamten Y. ist nicht strafbar.
a) Das Landgericht stellt fest: Der Angeklagte, der sich in Haft befand, wurde vom Kriminalhauptmeister Y. am 5. September 2008 in der JVA Magdeburg aufgesucht und davon in Kenntnis gesetzt, dass Oberstaatsanwalt PP. einen gerichtlichen Durchsuchungsbeschluss erwirkt und auf dieser Grundlage die Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten stattgefunden hatte. Der Angeklagte war verärgert und der Meinung, die Maßnahme habe nicht in Abwesenheit seines Verteidigers durchgeführt werden dürfen, der den Durchsuchungsbeschluss angefochten habe. Er äußerte gegenüber dem Polizeibeamten, Oberstaatsanwalt PP. sei ein Rechtsbrecher und seine Tage bei der Justiz seien gezählt. Er, der Angeklagte, werde ihn nach seiner Entlassung bis zum Schluss verfolgen. Dies solle Herr Y. dem Oberstaatsanwalt auch so mitteilen. Hiermit wollte der Angeklagte Oberstaatsanwalt PP. gegenüber seine Missachtung zum Ausdruck bringen.
b) Das Landgericht hat sodann ausgeführt, damit habe sich der Angeklagte einer Beleidigung schuldig gemacht. Berechtigte Interessen seien von ihm nicht wahrgenommen worden. Der Angeklagte sei über die Bezeichnung „Rechtsbrecher" hinausgegangen und habe die weitergehende Formulierung als Schmähkritik verwendet, da eine Diffamierung des Oberstaatsanwalts im Vordergrund gestanden habe.
c) Die Sachrüge des Angeklagten beanstandet dies zu Recht als fehlerhaft.
Die Erklärung des Angeklagten ist unter Berücksichtigung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nach § 193 StGB gerechtfertigt. Der Angeklagte nahm berechtigte Interessen zur Ausführung und Verteidigung von Rechten wahr, indem er - wenn auch scharfe - Kritik an dem Vorgehen des Staatsanwalts übte, ohne dass die vollständigen Feststellungen des Landgerichts aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, eine Beleidigung tragen, insbesondere liegt - entgegen der Annahme der Strafkammer - eine Schmähung fern.
Auch polemische oder verletzende Meinungsäußerungen unterfallen dem Schutzbereich des Rechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG (BVerfG NJW 2002, 3315, 3316), der § 193 StGB prägt. Berechtigte Interessen werden u.a. nur dann nicht wahrgenommen, wenn sich die Äußerung als Schmähkritik erweist und jedes Maß an Sachlichkeit vermissen lässt, also an Stelle der Auseinandersetzung mit der Sache die bloße Herabsetzung der betroffenen Person im Vordergrund steht, welche gleichsam an den Pranger gestellt wird (BVerfG NJVV 1995,3303, 3304; 2003, 3760; 2008, 358, 359; BGH NJVV 2009, 1872, 1874; 2690, 2692). An die Bewertung einer Äußerung als Schmähkritik sind strenge Anforderungen zu stellen. Sie setzt die Berücksichtigung von Anlass und Kontext (BVerfG NJVV 2009, 749, 750) sowie zunächst die Auslegung der Äußerung zur Ermittlung ihres Gehalts voraus. An all dem fehlt es der angefochtenen Entscheidung. Da weitergehende Feststellungen nicht zu erwarten sind, kann der Senat die Erklärung des Angeklagten würdigen.
Die Bezeichnung des Staatsanwalts als „Rechtsbrecher" hat das Landgericht als Werturteil betrachtet. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie fand im Rahmen der Auseinandersetzung des Angeklagten mit der in seiner Wohnung durchgeführten und von ihm als rechtswidrig empfundenen Durchsuchung statt, womit die Sicht des Landgerichts möglich erscheint (vgl. BayObLG NStZ-RR 2002, 40, 41 f., aber auch BGH NJW 2009, 1872, 1874 - „Korruption" als auf Wertung beruhende Beurteilung und BVerfG NJW 2008, 358, 359; Regge, § 186 Rdn. 11 - Pauschalurteil als Wertung; OLG Jena NJW 2002, 1890, 1891; Valerius, in: BeckOK-StGB, Stand: 15.08.2011, § 186 Rdn. 7.1).
Der Angeklagte war also der Meinung, der Betroffene habe vorwerfbar gegen das Recht verstoßen. Das muss ein Bürger im Rahmen rechtlicher Auseinandersetzungen, wie sie hier im Zusammenhang mit der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten stattfanden, ungestraft sagen dürfen. Dies gilt umso mehr, als der inhaftierte Angeklagte - im Hinblick auf § 106 Abs. 1 Satz 2 StPO möglicherweise zu Recht (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 106 Rdn. 4) - über die unterlassene Zuziehung seines Verteidigers verärgert war. Gerade weil sich diese Verärgerung spontan entlud, sich der Angeklagte nur mündlich Luft machte und die Äußerung keinesfalls eines sachlichen Zusammenhangs entbehrte, kann von einer die Person des Geschädigten im Ganzen herabsetzenden Schmähkritik keine Rede sein (BVerfG NJW 2009, 749, 750; Beschluss vom 20. Mai 1999, 1 BvR 1294/96 - BeckRS 1999, 30060310).
Dergleichen nimmt das Landgericht auch erst im Zusammenhang mit der weitergehenden Erklärung an, die Tage des Staatsanwalts in der Justiz seien gezählt und der Angeklagte werde ihn bis zum Schluss verfolgen. Hierin ist aber nichts Ehrenrühriges enthalten. Dass der Angeklagte den „Rechtsbrecher" verfolgen werde, ist keine herabsetzende Bewertung der Person, sondern eine Ankündigung, von seinen Rechten Gebrauch zu machen und die Sache nicht auf sich beruhen zu lassen. Verstöße gegen das Recht können für einen Staatsanwalt berufliche Konsequenzen haben. Das ist allgemein bekannt, folgt aus dem Vorwurf des Rechtsbruchs und enthält schlimmstenfalls als straflose Prognose einen Hin- weis darauf, dass der Rechtsbruch nach Auffassung des Angeklagten von gewissem Gewicht war. Das macht aus erlaubter keine Schmähkritik.
Angesichts dessen fällt auch die vorzunehmende Abwägung der Beeinträchtigungen, die im Einzelfall auf der einen Seite der durch § 185 StGB geschützten persönlichen Ehre und auf der anderen Seite dem Recht der Freiheit der Meinungsäußerung drohen (BVerfG NJW 2000, 199, 200), zugunsten der Meinungsfreiheit des Angeklagten aus. Dem Bürger muss es auch angesichts des Rechtsstaatsprinzips und des rechtlichen Gehörs gestattet sein, sich in einem laufenden Verfahren mit staatlichem Handeln, insbesondere der Justizbehörden, auseinanderzusetzen. Hierzu kann er sich - in den Grenzen des Rechtsmissbrauchs (vgl hierzu OLG Jena NJW 2002, 1890, 1891), für deren Überschreiten keine Anhaltspunkte bestehen - auch deutlicher Formulierungen bedienen, um seiner Auffassung Ausdruck zu verleihen (vgl. BVerfG NJW 2005, 3303, 3304; BayObLG NJW 2005, 1291, 1292; OLG Düsseldorf NJW 1998, 3214, 3215; KG NStZ-RR 1998, 12, 13; OLG Bremen NStZ 1999, 621, 622; OLG Hamm a.a.O.). Dementgegen ist ein Oberstaatsanwalt schon von Berufs wegen in der Lage und gehalten, spontan und nicht frei von Emotionen gegenüber einer einzelnen Person geäußerte, allein ihm mitzuteilende überpointierte Kritik an seiner Arbeit beim Kampf um das Recht auszuhalten (vgl. OLG Koblenz NStZ-RR 2000, 44 f.; OLG Oldenburg NStZ-RR 2008, 201).